Neuromuskuläre Regulationstherapie bei Erkrankungen
des Bewegungsapparates und funktionellen Symptomkomplexen |
Dr.med. Kurt Mosetter |
Inhaltsübersicht |
1. Kasuistik: Zerrungsschmerz beim Tennismatch 2. Grundlagen der Myoreflextherapie 3. Die Betrachtung der Biomechanik 4. Die untere Extremität als Beispiel 5. Behandlungsstrategie beim Knie
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1. Kasuistik:
Zerrungsschmerz beim Tennismatch |
Im Februar 1998 stellte sich in unserer Praxis Herr Jürgen P. (38 J.) vor.1 Der Grund für seinen Besuch war ein ausgeprägter stechender Schmerz in der linken Wade, ausstrahlend über die gesamte Ischiocuralmuskulatur. Interessant und aufschlußreich bei Herrn P. ist der folgende Sachverhalt: Auf die Frage, wann bzw. bei welcher Tätigkeit dieser Schmerz zum ersten mal auftauchte, antwortete Herr P., daß dies beim Tennisspielen gewesen sei. Auf die Bitte hin, diesen Schmerzmoment noch genauer auszumachen, sagte Herr P., daß dies kurz nach dem Ausführen eines Aufschlags gewesen sei. Herrn P.s Fall stellt sozusagen ein Musterbeispiel dar, an dem sich die Grundlagen und die Vorgehensweise der Myoreflextherapie verdeutlichen lassen. Grundlegend für die Myoreflextherapie ist die Physik des Bewegungsapparates. Jeder Muskel läßt sich mit einem Kraftvektor vergleichen, wobei vor allem die jeweiligen Richtungen der Kraft zu berücksichtigen sind. Bezieht man sämtliche Anteile des Bewegungsapparates, wie Knochen, Knorpel, Muskeln und Gelenkbänder, in die Betrachtung ein, so zeigt es sich, daß der lebendige Organismus im Sinne eines komplexen Vektorsystems betrachtet und auch behandelt werden kann. Der biologische Organismus ist in mechanischer Hinsicht so gebaut, daß er harmonisch den Kraftgesetzen folgt. Jeder Verstoß gegen diese Balance zieht entsprechende Schädigungen oder Störungen nach sich. Die Myoreflextherapie versucht, die Harmonie der Kräftewirkungen wieder herzustellen. Ausgangspunkt ist die Biomechanik, die Muskulatur in Aktion - bei Herrn P. das Ausführen eines Aufschlags beim Tennisspiel. An dieser Aktion werden zwei Komponenten beachtet: Der aktive Schenkel der Bewegung mit dem M. pectoralis und dem M. biceps verlangt die Entspannung des M. triceps als Teil des passiven Schenkels. Im Fall von Herrn P. war es in der Tat so, daß eine Druckpunktstimulation des M. triceps brachii am Tuberculum infraglenoidale ein sofortiges, spontanes Lösen des Schmerzgeschehens in der Wadenmuskulatur des Patienten brachte. Insgesamt jedoch war es sinnvoll, jeweils die kompletten Muskelketten zu behandeln. Ein entsprechendes Training gestaltet sich bei Herrn P. seit seinem Besuch in unserer Praxis so, daß er versucht, die gesamten Ketten zu trainieren und aufzudehnen. Herr P. ist Rechtshänder und schlägt auch mit der rechten Hand auf; sein Schmerz saß in seiner linken Wade. Insgesamt konnten von diesem Bild her die beiden folgenden Ketten beschrieben werden. Diese Muskelketten stellten im vorliegenden Fall das vordringliche Thema einer Behandlung dar: Erstens, die Kette der Synergisten: M. biceps brachii - M. pectoralis major et minor - M. obliquus ext. abdominis - M. rectus femoris (contralateralis) - M. tibialis anterior (contralateralis). Zweitens, die Antagonistenkette: M. triceps brachii - M. latissimus dorsi - M. iliocostalis - M. gluteus maximus (contralateralis) - M. biceps femoris (contralateralis) - M. gastrocnemius (contralateralis) - M. soleus (contralateralis). Speziell im Leistungssport bietet die Myoreflextherapie mit der Berücksichtigung
vom Muskel-Funktions-Ketten sehr lohnende und effiziente Möglichkeiten. Zum einen im Training
zur Leistungsmaximierung bei gleichzeitiger Verletzungsprophylaxe. Zum anderen bei der Therapie.
Hintergrund der Myoreflextherapie ist die Biomechanik - also die Physik und Anatomie des
Bewegungsapparates. Vor diesem Hintergrund lassen sich - wie im Fall von Herrn P. deutlich
wurde - genaue Behandlungs- und Trainingspläne erstellen.
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2. Grundlagen der
Myoreflextherapie |
Über Muskelansätze wurden Behandlungszonen wiederentdeckt, die in der Erfahrungsmedizin verschiedener Kulturkreise in deskriptiver Art und Weise als bedeutsame Zonen schon lange bekannt sind. Muskel-induzierte Symmetriestörungen und chronische Fehlbelastungen können vielfältige Symptome bewirken. Sie führen zu Haltungsasymmetrien, Fehlhaltungen, Schmerzzuständen - aber auch zu Auswirkungen im Vegetativum mit Schlafstörungen, Magenbeschwerden, allgemeiner Unruhe und vielem mehr. Für diesen Komplex an Symptomen entstand eine neue Behandlungsmethode: die Myoreflextherapie. Dabei werden nach exakter Palpation und Funktionsanalyse über einen
allmählichen manuellen Druckanstieg am Muskel-Sehnen-Knochen-Übergang gezielte
muskuläre und bindegewebige Reflexe ausgelöst. Genaue Dosierung der Richtung,
Stärke und Zeiteinheit der Reize sind von entscheidender Bedeutung. Prinzipien und Wirkungsweise Außer den Rezeptoren der knöchernen und muskulären Strukturen des ganzen Körpers sind besonders Rezeptoren am Atlasquerfortsatz für die erwünschten Reflexe zu beachten. Bei den Rezeptoren handelt es sich um Golgi-Sehnenorgane, Muskelspindeln und Mechanorezeptoren. Speziell die Kopfgelenke sind bei Blockierungen unmittelbar beeinflußbar, jedoch auch der Muskeltonus über die gesamte Wirbelsäule. Bereits bei Beschränkung auf die Behandlung des Atlasquerfortsatzes ist ein globaler Tonusabfall der quergestreiften Muskulatur zu erreichen. Das vegetative Nervensystem reagiert spontan mit sympathicolytischen Effekten. Motorik und Muskeltonus werden über Alpha-Motoneurone, Interneurone und gleichzeitig über Gamma-Motoneuronen und absteigende spinale Bahnen erregt (Alpha-Gamma-Kopplung). Bei dieser Erregung sind Kerngebiete und Bahnen des Hirnstammes insofern von übergeordneter Bedeutung, als die vestibulo-, retikulo- und rubrospinalen Leitungsbahnen Kontakte zu weiteren Reflexzentren ermöglichen. Eine Grundannahme der Myoreflextherapie lautet: Druckpunktstimulationen stellen für den Organismus simulierte Bewegungen dar. Physikalisch ausgedrückt, sind die Sehnen und Sehnenorgane mit den Muskelfaserbündeln in Serie (hintereinander) geschaltet. Die Sehnenorgane werden aktiviert, wenn ein Muskel sich kontrahiert, weil der Muskel dann an den Sehnen zieht und die Sehnenorgane infolgedessen komprimiert werden. Wird der Muskel durch passiven Zug gestreckt (wie das der Fall ist, wenn sich der jeweils antagonistische Muskel kontrahiert), werden die Sehnenorgane ebenfalls aktiviert. Ein Sehnenorgan hat jedoch eine relativ hohe Entladungsschwelle und wird durch die mäßige Ruhespannung eines Muskels nicht angeregt. Folglich bewirkt nur eine ziemlich schnelle Änderung in der Muskelspannung - eine Kontraktion oder eine Erschlaffung - einen Aktivitätsausbruch in den afferenten Fasern des Sehnenorgans.2 Im Behandlungsablauf wird über die Druckpunktstimulation auf der Ebene der Rezeptorenfelder eine Bewegung simuliert. Über die Reizung der Muskelspindeln werden die den Muskeln innewohnenden 1a Fasern aktiviert. Über Zwischenneurone werden über dieselben 1a Fasern die Antagonisten relaxiert. Zudem werden über Reizung der Sehnenspindeln 1b Fasern aktiviert, welche über spinale Zwischenneurone das Alphamotoneuron eines Muskels und diesen selbst relaxieren. Aktive Kontraktion und simulierte aktive Kontraktion führen zur Erregung der Sehnenspindeln und der 1b Fasern. Wieder über Zwischeneurone kommt es zur Relaxation des Muskels. Entscheidend ist also ein Rückkopplungsmechansimus, über welchen erregte 1b Afferenzen mit den Sehnenspindeln dem Alphamotoneuron entgegen wirken. Dies bedeutet, daß bei jeder zu großen und zu starken (oder ziemlich schnellen) Belastung automatisch eine Spannungsveränderung und Relaxation eintritt. Nach Netter ist die "eigentliche Aufgabe dieser kräfteempfindlichen Rückkopplung noch nicht völlig geklärt." 3 Für die Myoreflextherapie stellt dieser Rückkopplungsmechanismus jedoch den entscheidenden Schalthebel im Behandlungsmodell dar. Die ausgelösten Reflexe sind über spinale Reflexbahnen, die gate control, und über zentrale Hirnleistungen mit entsprechenden Neurotransmittern erklärbar. Durch die Druckpunktstimulation werden zu hohe Istwert-Spannungen des Muskels bewußt gemacht, fokussiert und reguliert. D.h. mit den obigen Regelkreisen kommt es über die körpereigenen Bewegungsprogramme zur Angleichung von Istwert und Sollwert des Muskeltonus; ein zu hoher Grundtonus wird reduziert. Die Regulation ist damit eine aktive Leistung des ZNS des Patienten. Der Therapeut bedient sozusagen nur "das Keyboard eines Computers". Außer Reaktionen des vegetativen Nervensystems mit sympathicolytischen Effekten spielen auch zentrale Lernvorgänge eine entscheidende Rolle, wie sie u. a. von M. Feldenkrais beschrieben wurden. Schon bei der Bildung eines normalen Tonus sind ja eigenständige nervale Steuerungen vorhanden, die in vorprogrammierten Mustern aktiviert und hierarchisch geordnet sein müssen. Die Integration dieser hierarchisch geordneten Bewegungsprogramme und ihre Aktivierung tragen wesentlich zum Erfolg der modifizierten Atlastherapie bei. Mit der Myoreflextherapie kann der Teufelskreis: Verspannung -
muskuläre Dysbalance - Gelenkfehlbelastungen - Durchblutungsstörungen - degenerative
Prozesse - Schmerz - Verspannung ... durchbrochen werden. Biomechanik Dreh- und Angelpunkt in dem neuen Therapiekonzept ist die Anatomie in Funktion. Bei der Myoreflextherapie geht es um die sofortige Lösung der zu hohen Spannung im Muskel und um die unmittelbare Entlastung von Gelenken und Weichteilstrukturen. Umbaureize dienen der ursprünglichen Beweglichkeit und führen zur Wiederherstellung einer funktionstüchtigen Biomechanik. Als Denkmodell steht bei dieser Form der Myoreflextherapie die Physik
des Bewegungsapparates an erster Stelle. Überlegungen dazu sind nur über das
Verständnis komplexer Vektorsysteme dynamischer und statischer Kräfte bzw.
Kraftwirkungen nachvollziehbar. Dabei läßt sich jeder Muskel mit einem Kraftvektor
vergleichen, wobei sowohl Betrag als auch Richtung der Kraft in gleicher Weise zu beachten
sind. Bezieht man sämtliche Anteile des Bewegungsapparates, wie Knochen, Knorpel, Muskeln
und Gelenkbänder, in die Betrachtung ein, so zeigt es sich, daß allgemeine
Bewegungsgesetze auf den Organismus anwendbar sind. Die Bewegungen des Körpers und seiner
Teile können mathematisch beschrieben werden. Damit ist gemeint, daß der biologische
Organismus in mechanischer Hinsicht so gebaut ist, daß er den Gesetzen der Physik und der
Mechanik folgt. Jeder Verstoß gegen diese biomechanische Balance zieht entsprechende
Schädigungen oder Störungen nach sich. Es lohnt sich deshalb, den Körper und seine
Bewegungen aus der Perspektive der Physik zu betrachten und entsprechende
Beobachtungsergebnisse und Ansätze einer Behandlung in die Praxis umzusetzen. Schmerz Die Bewußtwerdung eines Verstoßes gegen eine intakte Biomechanik ist der Schmerz. D.h. Schmerz wird als Ausdruck einer gestörten Bewegungsgeometrie verstanden. Schmerz hat eine wichtige Signal- und Warnfunktion, um irreversible, degenerative Selbstschädigungen des Organismus zu vermeiden. Schmerz ist somit in vielen Fällen als Leistung des ZNS zu verstehen. Die eingehende Betrachtung und Differenzierung von Schmerz und seiner Entstehung ist grundlegend für das tiefere Verständnis der Myoreflextherapie. Über eine konsequente Behandlung verliert der Schmerz als Signal
für Funktionsstörung seine Notwendigkeit und verschwindet deshalb. Es entstehen neue
Bewegungsspielräume und letztendlich ausbalancierte Belastungsverhältnisse mit
wiedergefundener Gesundheit. Über Reflexe und Bewegungen entfaltet sich eine harmonische
Integration der verschiedenen auf den Patienten einwirkenden Reize (Sinneswahrnehmungen,
Muskel- und Nervenleistungen). Anatomie in Funktion Unterschiedliche Herangehensweisen liefern ein analoges System von Behandlungspunkten. Über die Kombination von Erfahrungsmedizin (d.h. Modellen der Traditionellen Chinesischen Medizin und der Tibetischen Medizin, welche insbesondere diagonale Körperachsen betonen (vgl. den Fall von Herr P.)), mit Kenntnissen aus der modernen Physik und mit der Lehre der Anatomie in Funktion leitet sich ein exaktes Konzept von Behandlungspunkten ab. So können z.B. bei Rückenbeschwerden folgende Zuggurtungssysteme mit Agonisten- und Antagonistenketten behandelt werden:
Indikationsliste Die Indikationsliste umfaßt ein weites Feld und soll ausführlicher vorgestellt werden: Zuerst seien Geschehen erwähnt, bei denen allein schon durch ihre Bezeichnung ersichtlich wird, daß sie muskulärer Natur sind: Insertionstendopathie, Muskelhartspann, Myogelose, Muskelzerrung und Muskelverkürzung. Folgende weitere Syndrome stehen ebenfalls in enger Korrelation mit bestimmten Muskelgruppen: M. iliopsoas-Syndrom, M. piriformis-Syndrom, M. biceps-Syndrom, M. trapezius-Syndrom, Rotatorenmanschetten-Syndrom, Scalenus-Syndrom, M. obliquus superior-Syndrom, Supraspinatus-Syndrom und Tietze-Syndrom. Im Rahmen einer weitreichenderen Betrachtung seien Syndrome genannt, bei welchen mehrere Gelenke sowie die entsprechenden Muskelgruppen und alle Strukturen, die zu diesen Segmenten gehören, beteiligt sind: BWS-Syndrom, HWS-Syndrom, Cervicobrachialgie, Cervicoenzephalgie, Lumboischialgie, Funktionelle Gelenkblockaden, Torticollis und Tinnitus. Auch bei Symptomen mit Reizungen bzw. Entzündungen in näher umschriebenen Regionen ist ein Bezug zu Muskelansätzen und deren Strukturen gegeben: Tendovaginitis, Vertebragene Intercostalneuritis, Coracoiditis, Epicondylitis, Neuritis ilioinguinalis, Periarthritis humeroscapularis und das Funktionelle Carpaltunnel-Syndrom. Mechanische Schädigungen, die auf Funktionsfehlbelastungen zurückgehen, stellen eine weitere Indikation dar: Arthrose (z.B. Coxarthrose, Gonarthrose), Bandscheibenprotrusion, Bandscheibenprolaps, Chondropathia patellae, Halux valgus, Occlusionsstörungen (Kiefergelenk) und Skoliose. Abschließend sollen Erkrankungen aufgeführt werden, bei welchen die Behandlung mittels Myoreflextherapie oft sehr gute Erfolge oder zumindest eine wesentliche Linderung der Symptomatik und eine entscheidende Entlastung des Patienten gewährleistet: Sudeck-Syndrom, Trigeminusneuralgie, Muskeldystrophie, Morbus Meniere, Morbus Parkinson, Morbus Scheuermann, Multiple Sklerose, Polyarthritis, Morbus Bechterew, Asthma, Spastik, Migräne, Funktionelle Arhythmie, Funktionelle Angina pectoris (Prinz Metall Angina), Funktionelle Hypertonie, Vertigo und Fibromyalgie-Syndrom. Selbst die Folgen chronischer Fehlbelastungen wie Arthrosen und
Bandscheibenvorfälle können im Frühstadium, ja selbst noch beim ausgeprägten,
fortgeschrittenen Krankheitsbild mit sehr gutem Erfolg behandelt werden. Wenn die
Belastungsverhältnisse in einem Gelenk (über eine Behandlung der das Gelenk betreffenden
Muskulatur) wieder korrigiert werden können, dann kann das Gelenk auch wieder richtig
bewegt und wieder entsprechend ernährt werden - der hyaline Gelenkknorpel
kann regenerieren. Schlussfolgerung Ein Ziel des Therapeuten muß es sein, dem Patienten über
wiedererlangte Bewegungsabläufe Bewußtheit zu vermitteln und dadurch diese
Bewegungsmuster zu einem non-verbalen Lernvorgang zu machen. Diese spezielle,
neuentwickelte bzw. wiedergefundene Reflexbehandlung bietet in Kombination mit anderen
angepaßten Therapiemethoden vielfältige Möglichkeiten.
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3. Die Betrachtung der
Biomechanik |
Nicht zufällig stellt das Wort Bio-mechanik ein Kompositum dar. Es sind zwei verschiedene Disziplinen, die hier zusammengebracht werden: Die Lehre vom Lebendigen und die Lehre vom Mechanischen. Die Einheit, die Gleichberechtigung der Bios-Seite gestaltet sich jedoch weitaus schwieriger, als dieser zusammengesetzte Begrifft vermuten läßt. Lutz Claes betont: "Es wird Zeit, daß wir uns etwas mehr um das Bio' kümmern."4 Im folgenden sollen einige Betrachtungen zu diesem Thema angestellt werden. Im Hinblick auf eine Betrachtung der Biomechanik kann mit H. Roesler die Funktion der Stoßdämpfung thematisiert werden. Mit Heinrich Roesler läßt sich die Frage stellen, wieweit die Aussage "Die Doppel-S-Form der Wirbelsäule dient der Stoßdämpfung" biomechanisch korrekt ist und was eigentlich unter Stoßdämpfung zu verstehen ist.5 In der Biomechanik werden "Gesetze der Mechanik auf Lebewesen und ihre Strukturen angewendet" (ebd.). Es wird deutlich, daß z.B. das "Wort Stoßdämpfer, das aus der Technik stammt [...] im Bereich der Biomechanik zu Mißverständnissen" (S. 1668) führt. An folgendem Widerspruch wird dies deutlich: Einerseits soll gelten, daß die Doppel-S-Form der Wirbelsäule der Stoßdämpfung dient. Andererseits kann mit Roesler beobachtet werden: "Ein Sturz auf das Gesäß, auch aus geringer Höhe, kann erhebliche Verletzungen der Wirbelsäule zur Folge haben." (ebd.) Dieser Sachverhalt zwingt uns, die Bedeutung der Doppel-S-Form der Wirbelsäule genauer zu betrachten. Die Funktion der Stoßdämpfung kann sicherlich nicht allein den Bandscheiben oder (um ein anderes Beispiel zu nennen) den Menisken der Kniegelenke oder speziellen Sportschuhen zugeschrieben werden. Solche Erklärungen beruhen - so Roesler - "auf einem falschen Bild des mechanischen Vorganges Stoßdämpfung" (ebd.). Im Hinblick auf die Funktion der Stoßdämpfung ist also die Frage:
Überlegungen zu Kraft, Kraftgröße, Geschwindigkeit, Bremszeit und Bremskraft, Feder und Reibung machen deutlich: Um Zerstörungen des belebten Körpers zu vermeiden, muß man die Bremszeiten - oder entsprechend die Bremswege - genügend lang machen, dann treten keine zu großen Kräfte auf und die Körper bleiben unversehrt. Die Frage ist nur noch: Wie kann man das bewerkstelligen? (S. 1669) Roesler unterstreicht, daß die bisherigen Erklärungsversuche dieser Bewerkstelligung nicht genügen können. Zwar besitzen Gelenkknorpel, Menisken, Bandscheiben und Knochen etwas Federung und auch etwas Reibung, doch sie entsprechen eher harten Federn, die sich außerdem nur wenig zusammendrücken lassen, bevor sie zerstört werden. Die Bremszeiten, die sich mit diesen elastischen Eigenschaften der Gewebe erreichen lassen, reichen nicht aus, um auftretende Kräfte genügend zu verringern. (S. 1670) Die Antwort bzw. der Lösungsvorschlag, den Roesler angibt, ist auch in unserem Therapieansatz von grundlegender Bedeutung. Gefordert wird durch dieses Ergebnis zudem eine Neu- bzw. Umorientierung der Biomechanik. Die zu einer zerstörungsfreien Abbremsung der Bewegung erforderlichen Federkräfte und Reibungskräfte werden von der Einheit Sehne - Muskel bereitgestellt. Beide, Sehne und Muskel, besitzen elastische Eigenschaften. Die Gleitbewegung von Aktin und Myosin in dem exzentrisch belasteten Muskel kann man als ein Paradebeispiel für Reibung ansehen. Die Muskeln besitzen zudem noch eine besondere Eigenschaft: Durch die unterschiedliche Abstufung der Kontraktion des Gesamtmuskels kann man den Reibungskoeffizienten verändern, was in der Technik nur umständlich oder gar nicht zu realisieren ist: dort kann nur die Reibungskraft gesteuert werden. Gerade in der möglichen Abstufung des Reibungskoeffizienten liegt die Raffinesse der biologischen Lösung gegenüber der technischen. Die Muskulatur der Wirbelsäule kann an der Doppel-S-Form der Wirbelsäule als Stoßdämpfer arbeiten, und nur wenn die Muskulatur diese Aufgabe übernimmt, ist diese Doppel-S-Form bei der Stoßdämpfung sinnvoll. Zu beachten ist weiterhin, daß das Zuggurtungssystem des menschlichen Organismus nie mit einem einzelnen Muskel isoliert arbeitet, sondern stets mit Muskelketten in Funktion. Stoßkräfte können so in die gesamte Muskelkette abgeleitet und so aufgefangen werden. Bei einem symmetrischen, geraden Sprung aus 1m Höhe wären das: M. extensor digitorum, M. extensor hallucis, M. tibialis anterior, M. rectus femoris und die Muskulatur des quadtrizeps, M. rectus abdominis bis hin zu den M. scalenii und dem M. sternocleidomastoideus. Die dorsale Kette wäre dann M. triceps surae, M. biceps femoris mit M. semitendinosus und M. semimembranosus, die Gesäßmuskulatur, M. iliocostalis, M. longissimus mit der autochtonen Rückenmuskulatur bis hin zum M. splenius capitis, M. semispinalis capitis und den kleinen Muskeln der Kopfgelenke. Ein weiteres Thema stellen sicherlich computergestützte Bewegungsanalysen dar. Wer seine Muskeln anspannt, Sehnen streckt, Gelenke beugt, hat es mit Physik zu tun. Biomechaniker wollen darum anhand der Gesetze von Kraft und Energie erkennen, wie Sportler laufen oder springen, wie Verletzungen entstehen und verheilen. Da jedoch der lebende, bewegte Körper nur unzulänglich Auskunft gibt, setzen die Forscher zunehmend Computer ein, die den Menschen simulieren.6 Zwar kann man in den sich bewegenden Körper nicht direkt hineinschauen, jedoch ist es sicherlich möglich, sich die inneren Abläufe einer Bewegung klarzumachen und die dort geltende Bewegungsgeometrie mit Hilfe von Großrechnern in ihrer Komplexität nachzuvollziehen. Es ist möglich, sich gleichsam in den sich bewegenden Körper hineinzuversetzen: Unter genauer Kenntnis von Muskeln in Funktion und der Wirkung von Muskelschlingen in Agonisten- und Antagonistenketten kann eine exakte, computergestützte Bewegungsanalyse geleistet werden. Als Diagnoseinstrument" sagt Gert-Peter Brüggemann von der Kölner Hochschule, "ist dieses Verfahren weitaus präziser als selbst das geschulte Trainerauge." Denn der Computer kann in jeder Bewegungsphase mühelos ausrechnen, in welchem Winkel das linke Knie gebeugt ist, wie schnell sich der Körperschwerpunkt bewegt oder ob der Sportler seinen Schwung durch einen ungeschickten Schritt verschenkt hat. Und er kann die Tricks der Konkurrenz offenlegen. (S. 54) Hinsichtlich solcher Möglichkeiten ist aus der Sicht der Myoreflextherapie zu betonen, daß die Konsequenz für einen Sportler mit einem nicht-harmonischen bzw. ungünstigen Bewegungsablauf sicherlich in einer Korrektur und Änderung seiner "falschen" Bewegungen bestehen muß. Sein Training kann individuell auf die jeweiligen Erkenntnisse abgestimmt werden. Neben diesem Training kann überdies jedoch versucht werden, der Ursache, den inneren Bedingungen für einen "falschen" Bewegungsablauf nachzugehen. Bei exakter Untersuchung mit den Kenntnissen von Computerauswertungen lassen sich in einem Bewegungskomplex die jeweils beteiligten Muskelketten mit einzelnen Teilsegmenten genau angehen und behandeln. Neben der computergestützten Bewegungsanalyse ist eine exakte Analyse des Bewegungsapparates über Palpation unbedingt sinnvoll. Voraussetzung für die Myoreflextherapie ist eine spezielle Form der Diagnostik. Dr. Müller-Wohlfahrt [...] Vertrauter der deutschen Spitzensportler, brachte es auf den Punkt: "Wir ertasten Verletzungen und Gewebeveränderungen, die die Kernspintomographie nicht zeigt. Nichts ist sensibler als die Fingerkuppen." [...] diese Methode der Diagnostik und der Therapie ist sehr alt - gewissermaßen die Basis des medizinischen Wissens [und Behandelns]. [...] Beim 8. Kongreß der APLAR (Asiatisch Pazifische Vereinigung für Rheumatologie) in Melbourne stand die Diagnose mittels der Hände des Therapeuten im Mittelpunkt des Interesses. Universitäten wurde geraten, einen Ausbildungsschwerpunkt auf das Abtasten zu legen.7 Die Praxis zeigt: Die Technik der Palpation kann entscheidende muskuläre und bindegewebige Einschränkungen offenlegen und "entlarven". Indem Verquellungen ausgemacht werden, kann (in Verbindung mit einer Bewegungsanalyse) ein Therapiekonzept erstellt werden, welches die jeweiligen Behandlungspunkte angeht. In der aktuellen Biomechanik-Diskussion wird wiederholt das Gegensatzpaar innere versus äußere Mechanik ins Spiel gebracht. Äußere Biomechanik versagt schon vor der Frage, welche Belastungen eigentlich im Körper auftreten - für Wolfgang Baumann ein "Schlüsselproblem der Sport-Biomechanik". Unter dem Stichwort "innere Biomechanik" bemühen sich die Bewegungskundler darum seit längerem um eine lebensnähere Analyse. Sie versuchen, die Kräfte in Gelenken und Knochen hochzurechnen, indem sie als einfachste biologische Parameter die Hebelarme der Muskeln berücksichtigen. Wenn der Mensch etwa auf den Zehenspitzen eines Fußes steht, lastet immer noch das ganze Körpergewicht auf dem angehobenen Fußgelenk, erläutert Baumann. Der Hebelarm beträgt in dieser Stellung etwa zwölf Zentimeter. Eine Gegenkraft können nur die Wadenmuskeln aufbringen, die über die Achillessehne am Fersenbein ziehen. Ihr Hebelarm zum Fußgelenk beträgt jedoch nur etwa vier Zentimeter. Folglich muß schon die Muskelkraft in der Wade dreimal so groß sein wie die gesamte Gewichtskraft. Und im Gelenk addieren sich beide, so daß es mit dem vierfachen Gewicht des Menschen belastet wird.8 Im Hinblick auf eine Biomechanik, die innere Vorgänge und Gesetzlichkeiten in vollem Umfang berücksichtigen will, scheint dieser Ansatz aus der Sicht der Myoreflextherapie auf halbem Wege stehen zu bleiben. Wenn innere Bewegungsvorgänge verstanden werden sollen, dann kann es nicht genügen, ein punktuelles, stark begrenztes Beobachten und Beschreiben zu betreiben. Der Gesamtzusammenhang, in dem der einzelne Funktionszusammenhang eingebettet ist, muß mit in die Überlegungen einbezogen werden. Beim vorliegenden Beispiel heißt das: Nicht nur ein Muskel, die Wade ist von einem Geschehnis betroffen, sondern alle direkt und indirekt mit diesem Muskel zusammenhängenden Muskeln sind ebenfalls mit in das Geschehen einbezogen. Zum Tragen kommt ein ganze Muskelkette, eine Agonisten- und Antagonistenkette tritt in Aktion und ist bei der Funktion der Wade beteiligt. Symmetrisch trainierte und behandelte Muskulatur mit hoher Beweglichkeit in allen Gelenken und Bewegungsachsen, lange, unverkürzte Muskelzüge und eine damit einhergehende Vermeidung von Muskelverkürzungen sind die Grundbedingung für Leistungsmaxima. Wichtig ist ein Training aus Dehnungspositionen heraus. Aktivitätsimpulse bei aufgedehnter Muskulatur ermöglichen einen deutlichen Leistungszuwachs über die jeweilige gesamte Muskelschlinge. Das Grundkonzept muß also lauten: Training in Muskelketten und Muskelschlingen! Für den Sportler bedeutet ein solches Training aus Dehnungspositionen heraus nicht nur ein Training der Muskulatur, sondern darüber hinaus ein intelligentes Training von Bewegungsprogrammen für das ZNS; sozusagen Informationspolitik für einen optimalen Einsatz des Bewegungsapparates. Hin gearbeitet wird auf eine maximale Gesamtkapazität und optimale Bewegungs- und Aktionsmöglichkeit der einzelnen Muskeleinheiten. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß es zwei Aspekte sind, welche die Myoreflextherapie zu ihrem Ausgangspunkt nimmt: Erstens ist hinzuweisen auf die Komplexität und Vernetzung von Bewegungen. Stichworte sind: Agonisten - Antagonisten - Beziehungen, Muskelschlingen, gelenkübergreifende Effekte, die Wirkungen von Kräften und jeweiligen Gegenkräften, jeweilige Position der Gliedmaßen. Zweitens soll hier noch einmal auf die Rolle und Aufgabe der spinalen
Reflexbahnen, der zentralen Hirnleistungen usw., wie sie bei jedem
Bewegungsablauf zum tragen kommen, hingewiesen werden. Diese sind für die
Myoreflextherapie von zentraler Bedeutung. Der Eigendynamik, welche der sich
bewegende Körper entfaltet und vollzieht, der spezifisch lebendigen Kontrolle
der Bewegung ist eine gleichartige, analoge Untersuchung und Korrektur
der Bewegung bereitzustellen. Eine Herangehensweise, welche nur isolierte Funktionspunkte in
Ruhe berücksichtigt, muß unseres Erachtens wesentliche Gesetzmäßigkeiten (und
damit Eingriffsmöglichkeiten) verfehlen. Formelhaft kann gesagt werden: Was die Mechanik
des Lebendigen von uns fordert, ist eine ihr entsprechende lebendige Mechanik.
Dazu bedarf es gleichsam einer Abstimmung der Therapiesoftware auf die Bewegungssoftware.
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4. Die
untere Extremität als Beispiel |
Betrachtet man die untere Extremität, ist es unverzichtbar, die Anatomie des Beckens und der Lendenwirbelsäule zu kennen. Behandelt man beispielsweise Beschwerden des Hüftgelenkes, müssen unbedingt die Muskelzüge mit einbezogen werden, welche für das Becken, aber auch für die untere Extremität von großer Bedeutung sind. Dies sind der M. iliacus - iliopsoas, die Mm. glutaei, der M. adductor longus und M. magnus, der M. tensor fascia latae und die gesamte ischiocrurale Muskulatur. Diese Muskelzüge sind nun natürlich nicht nur für die Funktion des Hüftgelenkes hauptverantwortlich, sondern sie sind im selben Maße auch für die Steuerung und Bewegungsgeometrie des Kniegelenkes entscheidend. In einem vereinfachten Modell (siehe Abbildung) erkennt man, welche vier Muskelketten für den Oberschenkel und das Kniegelenk als Kraftvektoren die wichtigste Rolle spielen. Der ventrale Vektor wird durch den M. rectus femoris gebildet, der laterale Vektor durch den M. tensor fasciae latae und den vastus lateralis. Der mediale Vektor ist dargestellt über den M. sartorius und den M. vastus medialis. Der dorsale Vektor wird durch die Mm. biceps femoris, semimembranosus et semitendinosus sowie durch den M. graciles repräsentiert. Zwischen diesen vier Kraftvektoren bzw. Muskelschlingen herrscht ein äußerst sensibles Gleichgewicht, das einen reibungslosen, ökonomischen und zugleich ästhetischen Bewegungsablauf garantiert. Ist auch nur einer dieser Muskelzüge verkürzt oder beeinträchtigt, was zum Beispiel durch eine Verletzung oder falsche Haltung ausgelöst werden kann, ist dieses Gleichgewicht gestört. Dies führt zwangsläufig zu einem gestörten Verhältnis von Agonisten und Antagonisten und damit zu einer arthro-muskulären Dysbalance. Als Folge davon kommt es zu Fehlbelastungen der Meniscen und auch der knöchernen Strukturen des Gelenkes. Bei chronischen Fehlbelastungen resultieren daraus degenerative Veränderungen der Gelenke. Es ist lediglich eine Frage der Zeit, bis diese veränderten Muskel-Gelenk-Beziehungen Schmerzen auslösen. Spätestens beim Auftreten der ersten Schmerzsignale bietet die Myoreflextherapie einen sehr erfolgversprechenden Lösungsansatz. Über die genaue Lokalisation des Schmerzes werden beteiligte Kraftvektoren erkannt, bis zum Ursprung oder Ansatz verfolgt und entsprechend behandelt. Betrachtet man das dargestellte Modell, wird es schlüssig, daß beispielsweise Verkürzungen des M. vastus medialis zu Innenmeniscusbeschwerden führen oder Verkürzungen des M. vastus lateralis Schmerzen im Bereich des Außenmeniskus verursachen. Damit wird umgekehrt klar, daß bei bestimmten Knieschmerzen die Behandlung fest definierter Muskelzüge erforderlich ist. Damit ist gewährleistet, daß nicht nur das Symptom Schmerz beseitigt wird, sondern auch dessen Ursache, die Störung der Bewegungsgeometrie, behoben wird. Auch bei der unteren Extremität geht es wieder um das Zusammenspiel mehrerer Muskeln in gemeinsamer oder antagonistischer Funktion. So stehen zum Beispiel Beschwerden im Bereich der Patellaspitze in einem engen Zusammenhang mit dem M. rectus femoris und dem M. tibialis anterior (vgl. Abbildung). In funktioneller Fortsetzung dieser Kette sind nach caudal der M. extensor digitorum longus und der M. extensor hallucis longus zu sehen oder nach cranial der M. iliopsoas. Auch Schmerzen am Schienbein, im Bereich des Sprungelenkes und des Fußrückens bis hin zum großen Zehen, können eine Beeinträchtigung dieser Kette signalisieren. Wieder muß bei einer konsequenten Behandlung die gesamte Muskelschlinge durchforscht werden. Die dieser Kette antagonistisch entgegen wirkende Muskelschlinge wird aus der ischiocruralen Muskulatur, den Mm. gastrocnemii, dem M. soleus, dem M. peroneus longus et brevis, dem M. flexor hallucis longus sowie dem M. flexor digitorum longus gebildet. Auch diese Muskelschlinge darf bei der Behandlung der oben genannten Symptome nicht übersehen werden, auch wenn sie hauptsächlich mit Beschwerden im Bereich der Kniekehle, der Achillessehne oder des Fußgewölbes im Zusammenhang steht. Über die funktionelle Anatomie der oberen und unteren Extremität
wird das Prinzip und die Wirkungsweise der Myoreflextherapie besonders eindrücklich
deutlich: Man therapiert nicht lokal im Schmerzgeschehen, sondern behandelt Muskelzüge
und Punkte, welche über die menschliche Anatomie und die entsprechenden Gesetze der
Physik und der Biomechanik klar abzuleiten sind.
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5. Behandlungsstrategie
beim Knie |
Während der Behandlung kann es vorkommen, daß der Schmerz "wandert". Was bedeutet dies, und welche therapeutischen Konsequenzen hat das zur Folge ? Diese Fragen sollen an einem typischen Beispiel kurz erläutert werden. Ein Patient klagt über Schmerzen in der Region des Innenmeniskus. Die Behandlung beginnt mit einem Reiz am musculus sartorius (spina iliaca anterior superior). Es ist möglich, daß der Schmerz sofort verschwindet. Es kann aber auch sein, daß der Schmerz im Inneren des Knies nicht mehr spürbar ist, nun allerdings vorne an der Kniescheibe auftritt. In diesem Fall ist der nächste Behandlungsschritt das Setzen eines Reizes am rectus femoris (spina iliaca anterior inferior). Wiederum gibt es nun mehrere Möglichkeiten: So kann es passieren, daß der Schmerz immer noch nicht aufhört, sondern eventuell an die Außenseite der Knieregion wandert. Diese würde die Behandlung des musculus tensor fasciae latae erfordern (spina iliaca anterior superior). Nur in den seltensten Fällen wandert der Schmerz noch ein weiteres mal und macht damit weitere Behandlungsschritte notwendig (z.B. Kniekehle ® musculus biceps femoris). Erklärung: Stück für Stück verkürzen sich über eine einseitige Belastung alle betreffenden Muskeln, allerdings der im Vordergrund stehende mehr als die anderen. Dieser verursacht den ersten Schmerz. Nach der Behandlung hat dieser Muskel seine Bewegungsamplitude erhöht und ist im Vergleich zum benachbarten Muskel relativ zu beweglich. Innerhalb des harmonischen Spiels ist nun ein anderer Muskel am stärksten verkürzt, welcher nun den Schmerz verursacht. Daher schmerzt es plötzlich an einer anderen, gesetzmäßig folgenden Stelle. Nach erneuter Behandlung kann der Schmerz wiederum an einer neuen Stelle auftauchen. In jedem Falle deutet der Schmerz auf das schwächste Glied in der Kette, das heißt auf den am stärksten verkürzten Muskel hin. Es handelt sich also jedesmal um einen neuen Schmerz mit seinem eigenen spezifischen Verursacher. Es ist unerläßlich, sich über die unterschiedliche Qualität, Intensität und Lokalität ein genaues Bild zu machen. Der Schmerz hat dabei Signalcharakter und weist jedesmal auf die am meisten beeinträchtigte Bewegungsachse hin. Ist das Kräfteverhältnis dieser Achse nach der Behandlung korrigiert, ist das ursprüngliche Signal überflüssig, der zugeordnete Schmerz verschwindet. Erst wenn alle möglicherweise auftretenden Signale richtig gedeutet und der Patient entsprechend behandelt wurde, wird der Patient auf Dauer schmerzfrei sein, da die Bewegungsgeometrie ausgeglichen und das Kräftegleichgewicht in den Bewegungsachsen wiederhergestellt ist. Bei der Myoreflextherapie ist daher immer die erste Frage, um welchen Schmerz es sich handelt. Man sollte wissen, wann die Schmerzen auftauchen, wo sie sich befinden, wie stark sie sind und welchen Charakter sie haben. Hier ist die Mitwirkung des Patienten erforderlich. Nach der genauen Schmerzanalyse kann auch ein gezieltes Trainingsprogramm für den Patienten entwickelt werden, da die ursprünglich eingeschränkten und durch die Therapie entspannten Muskeln genau bekannt sind.
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Anmerkungen |
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